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Spreu im Wind - 1945 (Neue Heimat)

Völlig erschöpft und übermüdet gelangte Elfriede Zachen mit ihren beiden Mädchen endlich im kleinen Dorf Sülfeld in Schleswig-Holstein an. Würden Sie hier erst einmal Unterschlupf finden? ...

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... Mein erster Gang auch hier wieder zum Bürgermeister. Wie üblich: „Alles überfüllt!“ Uns wurde ein Bauernhof genannt – Strohquartier. Aber es war mir egal damals, nur erst mal liegen und schlafen dürfen!
Wir trafen die Bäuerin in der Küche an, eine junge Frau mit vier Kindern. Sie ließ uns nicht auf den Heuboden, sondern stellte uns ihr Kinderzimmer zur Verfügung. Ihre eigenen Kinder nahm sie zu sich ins Schlafzimmer, denn ihr Mann war auch Soldat. Wahrscheinlich gefielen wir ihr. So bekam ich dann ein Bett für mich und die beiden Töchter ein großes zusammen. Wir schliefen wie die Murmeltiere. Noch tagelang hatte ich Muskelkater von all den vorangegangenen Anstrengungen.
(…)
Olga, so hieß die Bäuerin. Die Kinder sagten bald „Tante Olga“ und ich „Du“ zu ihr. Auch das kam gleich so über uns. Sie war gut, das kann man wohl sagen.
Ich schaltete mich bald in den großen Haushalt ein, denn der Zusammenbruch kam. Die ausländischen Arbeitskräfte wurden ausgeschaltet, sie fehlten. Ich übernahm die Kocherei und kam überhaupt nicht zum Nachdenken. Olga fuhr zum Melken mit auf die Koppel, und mich hielten die Leute, die da kamen, für die Bäuerin. Da erklärte sie mir, dass wir tauschen müssten, ich sollte mit auf die Koppel, nach dem Rechten sehen, sie wollte wieder an den Herd. Ich hatte Humor und erlernte das Melken!

Inzwischen waren die Waffen verstummt, die Engländer ins Dorf eingezogen. Sie taten niemandem etwas. Ich weiß nur, dass einmal einige ins Haus kamen, um sich aus dem Keller etwas zum Essen zu holen, Eingemachtes oder so. Dabei hatte ich nur Angst, dass sie meine Butter nehmen würden, die ich mir für meine letzten Reisemarken gekauft hatte. Aber sie blieb unbeachtet.
Das frühere SS-Lager im Borsteler Wald wurde aufgelöst, und viele Leute holten sich Sachen. Sie schleppten Militärmäntel, Decken und Bettwäsche. Ich war zu unbegabt dazu, hatte das alles auch gar nicht richtig mitgekriegt. Ich dachte immer: „Na ja, wenn nicht heute und morgen, aber bald könnt ihr doch zurück nach Berlin, da habt ihr ja alles.“
Es vergingen drei Wochen, es vergingen sechs Wochen, keine Änderung, keine Nachricht auch vom Mann. Ich molk abends meine Kühe, ich stand jeden Morgen ½ 5 Uhr auf und fuhr mit dem kleinen Panjewagen zum Melken auf die Koppel; nichts änderte sich. Ruhe war, die lang entbehrte Ruhe, kein Alarm mehr, aber auch keine Verbindung zu den Angehörigen, keine Post ging, keine Bahn fuhr.

Dann bekamen wir drüben im Altenteil ein kleines Stübchen zugewiesen. Auf dem Boden lag es, eigentlich nur ein Bretterverschlag, aber wir hatten doch ein Reich für uns. Olga hatte nämlich inzwischen auch ihr Haus räumen müssen für die Ausländer. Sie bekam mit ihren Kindern ein Quartier bei Grete am Großen Graben. Mit Grete war gutes Umgehen. Oben bei ihr wohnte die Hauswirtin mit Enkelkindern. Die kleine Enkelin hatte ich einmal aus dem Großen Graben gezogen, als sie schon halb ertrunken war; nun hatte ich die Oma zur Freundin. Sie alle zusammen halfen mir mit Betten, Bettzeug und Geschirr aus, so dass es uns nicht schlecht ging. Nur für immer sollte es nicht so bleiben.
Gretes Mann war auch Soldat. Wenn wir des Morgens nach getaner Hauptarbeit dann noch zusammen in ihrer kleinen Küche saßen, fragten wir uns, wer von unseren Männern wohl zuerst zurück sein werde. Sie hatte auch drei Kinder, so wie aus dem Bilderbuch, blond und blauäugig mit zartem Teint, Uwe, Elke und Heike. Grete konnte sehr resolut sein. Es war mir eine Freude, sie in ihrem Holsteiner Platt sagen zu hören: „Uwe, go ut'n Weg, kriegst glieks 'n Schiew int Krüz!“
Wir waren nun auf einmal in einer Welt, wie wir sie bisher nicht gekannt hatten. Ich muss sagen, zum Teil gefiel sie mir sogar. Morgens früh kam Olga rüber und rief unter unserm Fenster: „Friedel, aufstehen!“ Der faule Adam in mir lehnte sich oft auf und raunte mir zu: „Bist du dumm, das brauchst du doch gar nicht, lass die doch ihre Arbeit alleine machen!“ Aber dann, wenn ich ihn überwunden hatte, wusste ich, dass ich nur dadurch aufgenommen wurde in diese Gemeinschaft, und dass das Leben erträglicher ist, wenn man Kameraden hat.

Allmählich wurde den Deutschen ganz allgemein der Brotkorb höher gehängt, so dass ich der Kinder wegen auch froh war über die zwei Liter Milch, die ich jeden Tag fürs Melken bekam. Ach, es war auch so schön, morgens mit Pferd und Wagen auf die Reise zu gehen. Es war still, und die Sonne ging eben auf. Der Weißdorn am Wege blühte über und über, und schon summten die Bienen darin. Saß Olga neben mir und hörte sich meine Begeisterung über die Schönheiten in der Natur an, dann sagte sie wohl trocken: „Nu fangt's all wedder an to swarmen!“
Die Kühe hatten sich weit verlaufen, so dass man jeden Morgen erst durch taunasses Gras laufen und sie durch lockende Rufe: „Komm, Ulsch, komm!“ heranholen mußte. Dann saß ich da auf meinem Melkschemel unter der „Anita“ oder der „Rosemarie“ und wie sie alle ihre Namen hatten. Die Milch strahlte in die Eimer, das war wie Musik. Es kam auch wohl vor, dass ich – schwups – ins Gras flog, wenn es dem jungen Bullen, der immer zwischen der Herde war, gefallen hatte, eine seiner Schönen zu necken. Ich trank doch so leidenschaftlich gerne frische Milch, ganz warm, und oft habe ich aus dem Kannendeckel getrunken. Das bekam mir gut! ...

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© Elfriede Zachen, Bad Oldesloe 1980 – Alle Rechte vorbehalten.


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