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Spreu im Wind - 1945 (Alte Heimat Pommern)

1945 – Stepenitz in Westpommern

Elfriede Zachen hatte mit ihren Töchtern am Wohnsitz ihrer Eltern Unterschlupf in der Försterei „Schöneiche“ gefunden:

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In der Nacht vom 2. zum 3. März polterten und treckten Soldaten und Flüchtlinge, alle durcheinander, an der Försterei vorbei. Wir erfuhren, dass sämtliche Oderübergänge schon vom Feind besetzt seien und nur der Stepenitzer Dampfer noch die letzte Möglichkeit bot, zur andern Seite zu gelangen.
Die Försterei hatte des Nachts Flüchtlinge aufgenommen, die fragten jedoch gar nicht mehr, ob sie hinein dürften. Sie schütteten Stroh in die gute Stube auf den Teppich, um zu schlafen. Müde und gehetzt sahen sie aus. Kleinen Kindern wurde Essen warm gemacht. Restliches fiel an die Erde, wurde achtlos zertreten. In kopfloser Hast und Hetze zogen sie weiter, um den Dampfer noch zu erreichen, der sie vor dem Feind davontragen sollte.
Es gab in Stepenitz einige sehr wohlhabende Familien. Die hatten sich lange Zeit vorher große Wohnwagen bauen lassen und soviel Nützliches hineingeschafft, wie möglich war. Doch sie hatten den Zeitpunkt verpasst, diese rechtzeitig über die Oder zu bringen. Jetzt war es zu spät, die Dampfer nahmen nur noch Personen und ihr Handgepäck mit.
Mich hatte es nun aber gepackt. Ich zog die Kinder fertig an, wir nahmen unsere Koffer, um uns zu verabschieden. Unten war Frau Klemm dabei, den Unrat wegzuschaffen. Sie war verzweifelt und hatte ein puterrotes Gesicht. Herr Klemm hatte im Garten ein Loch gegraben, dahinein schleppten sie jetzt alles, was als ihr Reichtum in den Schränken gelegen. Immer hinein! Ich hätte geholfen, wenn es noch einen Sinn gehabt hätte. Sie wollten noch nicht mit! Wir aber gingen los!

Bei meinen Eltern angekommen, trafen wir auch alles in Auflösung an. Unser Opa wollte dableiben, dazu war er fest entschlossen. Tante Erna mochte wohl mit uns kommen, doch Opa wollte sie nicht weglassen, und Klaus streikte auch. Er wollte zu Hause bleiben. So wurden sie hin- und hergerissen.
Ich ging weiter zu Hanna, meiner Freundin. Ihr Mann war auch Soldat, und sie hatte bis jetzt die Drogerie allein geleitet. Drei Kinder musste sie mitnehmen auf die Flucht. Sie strebte auch nach Berlin, darum hatten wir uns verabredet. Ich half ihr noch beim Packen. Abends telefonierte ich nochmals mit Frau Klemm. "Ach", sagte sie, "wir sind noch hier, aber in Gollnow soll schon der Russe sein."

Dann wollte ich noch einmal zu meinen Eltern gehen. Aber da kam ein Mann die Straße entlang und rief: "Schnellmachen, der Russe ist gleich hier! Rette sich, wer kann!" Da verloren wir die Ruhe. Zwei Frauen mit viel Gepäck und fünf Kindern, so zogen wir im Dunkeln los. Klein Gudrun saß im Wagen und wurde von unserer Erika geschoben. Die beiden Jungen und unsere Dorothea mussten schon etwas Gepäck nehmen. Hanna hatte noch einen Blick durch die Ladentür ins Innere geworfen, wo ein angefangener Block Butterschmalz stehengeblieben war.
Später, vor ein paar Jahren erst, hat mir unsere Dorothea über diesen Abschied folgendes berichtet: "Ja, Mutti, ich erinnere mich genau an den Nachmittag. Während ihr oben noch beim Packen wart, durfte einer der beiden Brüder - Hartmut oder Rüdiger - mit mir im Laden "stöbern“. Wir hatten von Tante Hanna die Erlaubnis bekommen, uns etwas Schönes auszusuchen. So steckte ich viele bunte Bonbons in meine Tasche und eine Menge grüne und rote Leuchtstreichhölzer dazu. Ich fand sie besonders interessant und kam mir überhaupt vor, als wäre ich im Schlaraffenland. Auch die Clematis am seitlichen Haupteingang ist mir ganz deutlich in Erinnerung geblieben." Soweit die Tochter über die Geschehnisse aus ihrer Sicht.

Hanna und ich aber, wir drängten damals vorwärts. Wohl wussten wir den Weg zum Dampfer genau, aber mit dem vielen Gepäck von Hanna kamen wir nicht voran, der Weg war mit stehengelassenen Treckfahrzeugen völlig versperrt. So trennte Hanna sich von uns, sie wollte versuchen, mit dem Dampfer "Greif" wegzukommen. Ein mit Schnapsflaschen gefüllter Korb, so meinte sie, würde es ihr ermöglichen, da mit allem Gepäck mitgenommen zu werden.
Uns hatte unterdes ein Bekannter gesagt: "Geht im Dunkeln am Hafen längs! Ganz hinten liegt der Dampfer, wir nehmen euch bestimmt mit, fahren aber als letzte!“
Bei vielen wurde es ein dramatischer Kampf um einen Platz auf einem der Dampfer. Etliche waren ins Wasser gefallen und riefen um Hilfe.
Bei uns ging alles in Ruhe, wie verabredet, aber die ganze Nacht hindurch saßen wir noch unten in der Kajüte. Einmal ging ich nach oben an Deck, um zu sehen, was draußen los war. Schaurig sah der Himmel aus! Wie böse Geschwüre leuchteten ringsum Feuerscheine auf, ganz nahe hörte man den Kanonendonner, Tiefflieger waren zu befürchten.
Endlich, gegen Morgen erst, ging die Fahrt los. Meine Gedanken galten nur noch den Kindern, keine Zeit, an das zu denken, was hinter uns lag.

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© Elfriede Zachen, Bad Oldesloe 1980 – Alle Rechte vorbehalten.


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