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Spreu im Wind - 1945

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Spreu im Wind - 1945 (Alte Heimat Pommern)


Im Pommerschen, östlich der Oder, an einer kleinen, schilfumrandeten Bucht, deren Strand der Sonne zugekehrt ist, liegt Stepenitz, mein Heimatort.
Es entzückte jeden Fremden, der dieses Fleckchen Erde zum ersten Mal vom Wasser aus aufsuchte.
Da sah man es liegen, wenn der Dampfer von der Großen Fahrt abzweigte, die von Stettin aus weiter durchs Haff, am Leitholm vorbei, nach Swinemünde führt. Der Kirchturm mit seinen hohen Baumgruppen ringsherum war das Wahrzeichen meiner Heimat.
Solch eine Dampferfahrt ist auch wohl eine meiner am weitesten zurückgehenden Erinnerungen. Gern saß ich vorn auf dem Schiff und beobachtete, wie das Wasser aufspritzte und zur Seite abrollend verlief. Möwen begleiteten uns und fingen im Fluge manchen Brocken, der ihnen zugeworfen wurde.
Aufregend war das laute Tuten, ich bekam jedes Mal einen Schreck. Jetzt leben wir in einer kleinen Stadt, und immer, wenn der Wind von einer Fabrik den Schall der Werkssirene herüber trägt, steht schlagartig der ganze Zauber einer solchen Dampferfahrt wieder vor mir, denn sie hat den gleichen Ton wie damals unser Dampfer.
Noch viele Male machten wir diese "Reise" nach Stettin und zurück, und immer wieder war sie für mich neu. Später lernte ich all die Stationen kennen. Überall das gleiche Bild: Milchkannen abladen - Milchkannen aufladen. Ab Schwankenheim begann die Heimat meiner Mutter, und wo die Krampe dann in die Oder mündet, da stand ihr Elternhaus, gleichen Namens wie das kleine Flüsschen. Es war eine Gaststätte für Segler und Kahnschiffer gewesen, verbunden mit viel Landwirtschaft. Auch Mutter hat ihre Heimat sehr geliebt, und nicht ohne Sehnsucht ließ sie ihre Augen nach dort hinüberwandern, wenn wir vorbeifuhren.
Zwei Leuchttürme standen an der Großen Fahrt, und unser Dampfer musste sie passieren, wenn er in die Stepenitzer Fahrrinne einbog. Jeder stand auf einer kleinen Insel, die grün bewachsen war. Wie sie wirklich hießen, weiß ich gar nicht. Wir nannten sie immer "Langer Heinrich" und "Dicke Auguste", weil der eine so hoch und schlank, der andere aber klein und rund war.
Waren im Winter unsere Bucht und die Fahrt zugefroren, sind wir mit Schlittschuhen hingelaufen und raufgeklettert. Wie beglückend war dann die Aussicht vom „Langen Heinrich“. Einmal, als ich noch kleiner war, hatte Mutter uns Geschwister in einen Kastenschlitten gesetzt, sich Schlittschuhe untergeschnallt und war mit uns übers blitzblanke Eis gesaust. Als ich es jedoch unter uns immer so verdächtig knacken hörte, fing ich vor Angst an zu weinen. Heute denke ich mir, dass Mutter wohl damals Heimweh nach ihrer Krampe hatte und dicht heran wollte.

Nun will ich von unserm Haus erzählen. Bildhaft deutlich sehe ich es in seiner breitgezogenen, niederen Behaglichkeit vor mir liegen, ein wenig tiefer aber als die anderen Häuser. Das kam daher, dass diese später erbaut und die Straße entsprechend erhöht worden waren. Vater hatte den etwas abschüssigen Zuweg in gerauhtem Beton selbst hergestellt und für genügenden Abfluss des Regen- und Schneewassers gesorgt.
Schon meines Großvaters Arbeit steckte in diesem Haus. Er hatte es einst von einem Kapitän erworben, als es noch ein sogenanntes Rauchhaus gewesen war. Es fehlte darin der Schornstein, und der Rauch, der noch bei offener Flamme erzeugt wurde, musste sich seinen Weg durch die Dachsparren nach draußen suchen. Man sah es den dicken, roh behauenen Eichenbalken auf dem Boden aber auch an, dass sie viel Rauch geschluckt hatten. In einer der Lehmwände konnte man noch die Jahreszahl 1729 lesen. Auf dem Boden standen ein Webstuhl und mehrere Spinnräder, auch Truhen mit Straußenfederhüten und karierten Sonnenschirmen. An manchen Tagen verkleideten sich sogar noch unsere Kinder damit, wenn wir in den Ferien zu Besuch dort weilten. Die Zimmerdecken waren alle weiß lackiert, an den Wänden verlief eine meterhohe Holztäfelung, die wieder dunkel gehalten war.
Am schwarzweißen Fachwerkgiebel war eine Laube von Jasmin gewachsen, und Maiglöckchen breiteten sich dort aus. Hier an der Giebelseite und im Vorgarten blühte alles in Hülle und Fülle, und Obst gab es so viel, dass wir alleine nicht Herr darüber werden konnten. Mutter selbst hatte in jungen Jahren die Mehrzahl der Bäume gepflanzt.
Standen wir vor der Tür, konnten wir die ganze mit Kopfsteinen gepflasterte Lange Straße überblicken, bis hinten an der rechten Biegung die Gebäude des Forstamtes inmitten hoher Maulbeerbäume die Sicht sperrten. Welch hübschen Kontrast bildeten auch die meist weiß gestrichenen Zäune der Vorgärten zu den schmalen Bürgersteigen rechts und links, die mit roten Ziegelsteinen gepflastert waren. In den Rinnsteinen daneben sammelte sich nach Gewittergüssen eine Unmenge Wasser, darin wir Kinder voll Wonne herumplanschten und wohl noch einen Regenbogen bewunderten.

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© Elfriede Zachen, Bad Oldesloe 1980 – Alle Rechte vorbehalten.


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